Alte Geschichten neu erzählt Rainer Nowotny
Rainer Nowotny




Brünnhild, Walküre, also Ewige, bekennt sich, was Unsterblichen nicht zusteht, zu liebenden Menschen, mischt sich in des Schicksals Lauf, einen liebenden Menschen vor einem tödlichen Streich zu bewahren, fällt darauf in Verdammnis, bestraft, das Sterbliche der Menschen zu teilen, wird ihr aber ein Auserwählter unter den Menschen versprochen, sie zum Menschen zu erwecken, und also ist sie in ihrer Verdammnis aus der Ewigkeit auch gleichzeitig verdammt, der Liebe sich zu unterwerfen.
Brünnhild wird schlafen gelegt in einen Wall von Flammen, die erst Siegfried, der Held, der Kummer nicht kennt, erstürmt und also durch die Vorbestimmung ihr versprochen zu sein scheint, doch sie alsbald verlässt, sorgenfrei in die Welt zu ziehen; späterhin verhilft er dem schwachen König Gunther, die auf ihre verlassene Liebe Wartende zu bezwingen und die Eroberte zu freien.
Alle versuchen sich zu arrangieren, der König, seine Schwester, der Hofstaat. Siegfried bleibt unbekümmert, also dumm, nur Brünnhild erstarkt, bekennt sich zur Liebe und erkennt. Sie erkennt Verrat, doch findet sich kein Verräter - Wer machte sich schuldig? Siegfried versprach nie etwas, denn er träumte; Gunther behauptete nie, dass er stark sei; Gudrun war natürlich unschuldig, außerdem schön. Aber keiner ist fähig zur Liebe, nur eine.
Siegfried wird getötet. Als sein Leichnam verbrennt, geht Brünnhild in den Freitod.



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Der ewige Jude

Die Qualen der Hast
Die Furcht vor der Rast,
in seine Ewigkeit fasst.

Der Sarg aus Glas des Knaben
zu früh in die Gruft gegraben.
Wirft sich für ihn vor die Raben.

Das Blei zerfetzt sein Fleisch,
doch das Ende entweicht,
geronnenes Blut erbleicht.

Die Fluten versprechen Entkommen.
dem Tosen der Brandung benommen,
durch rettenden Bracke entronnen.

Von Schluchten zu fallen,
wo bleibt sein Prallen:
Nur zartes Verhallen.

Ein Zerbrechen ohne Scherben
Verdorrt ohne Verderben.
Das Gewesene beerben.



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Es bedarf des Schurken, manchmal, der einem großen Meister seine Meisterschaft entlockt.
Als Andre, der Maler, Jahre schon die Pinsel ruhen ließ, ja mehr noch, schwor, seit damals, sie nicht mehr zu verwenden, musste der einst verlogene Vetter zu ihm sagen: "Höre Andre, als du
gestoßen, ich war's der den Häschern deine Laster preisgetan, da der Neid mir damals auf deine Bilder meine Augen verklebt, wie dein geübter Stich die Farben dünn und die Gesichter stark
vereinte, wie die Linien klar durchdacht und ohne abzuschweifen die Formen schlossen ... , der Ekel, dieses selbst nicht zu vollbringen, schuf den Verrat in mir, doch jetzt, wo deine Hände
ruhen, sag ich dir, weil auch der Tod nun meinem Neiden ein Ende machen wird, dass ich gesündigt, dich zum Ketzer schalten ließ, du aber:
Deine Sünde, Andre, ist größer, nicht zu messen mit dem kleinen Neid.
Deine Pinselzüge hätten Großes bringen können, nun bist du ein Nichtnutz, ziehst in Land. Warum gab man dir die Gabe, vermodern ließest du sie."
Aufgeschreckt von solcher Offenheit aus dem Schlafe des Gelübdes, kalt der Schauer in ihm steckt, greift zu Farben, Pinsel nimmt den nächsten Wagen, der ihn fortbringt, zur Kathedrale, die seiner Künste wartet.



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Ein Mann war, der hatte Haus und Hof, wie's sich gehört, doch lebte keine Frau bei ihm, denn keine war, die ihm die Sehnsucht, nach Geheimem, das er beim Namen nicht zu nennen wusste, konnte stillen. Es gab wohl diese oder jene auch, die ihm als Hexe einst erschien, von der er blind - sich bald ernüchtert fühlte. So war er das Leben lang auf der Suche, wo aber war das zu finden, was er Hexerei nannte?

Eines Tages kam eine junge Dirne auf seinen Hof, sich für den Sommer zu verdingen. Ihre Schönheit, ihre Jugend bezauberten ihn so ehr, dass er sagte: "Sie muss hexisch sein!" Und als sie ging, folgte er ihr durch Land, kreuz und quer.
Als Jahre vorüber, als wieder ein Sommer verstrich, sah er und sah und sprach zu sich: "Es ist wieder keine Hexe, wieder ist's nur eine schöne Frau." Bestieg seinen Wagen und fuhr heimwärts.

Als nun auf seinen Hof er einfuhr, kläffte sein Hund, der alte, ihm entgegen wie zum Willkommen, doch die Tür des zurückgelassenen, fast schon verfallenen Hauses blieb ihm verschlossen. Es drang geahntes, unbekanntes heraus: ein Hexensabbat. Im eignen Haus, als er weit fort. Doch ohne ihn. Als er die Fremde meinte suchen müssen, verwob sich hier im eignen Heim, das er dafür immer als unmöglich hatte erachtet, jenes von ihm schauerlich Ersonnene, das aus Furcht vor der Nähe er im Abseitigen glaubte nur finden zu können, weil dort er dem Träumen mächtig sich wähnte.

Der Mann klopfte ergeben um Einlass, denn er fühlte sich angekommen in der Fremde.



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Die Farnkrautesser

Zwei fromme Mönche aus dem Kloster dort in der Ebene, die die Schrift kannten, wie sich selbst nicht, unklar aber miteinander ob, die Frage darum war manches Tages Werk, Jesus ein eigenes Gewand besaß und wessen die Speisen waren, die er aß, denn seien Gewand oder Speisen sein eigen, er hätte sie kaufen müssen, woher aber das Geld, oder gehörte ihm nichts und damit alles, oder lebte er vom Schenken Frommer, was keine gültige Antwort den beiden geben mochte, so entschlossen sie sich, der fremden Versorgung der Klosterküche, der Abhängigkeit des weltlichen Ablassgeldes, womöglich den Almosen zu entsagen, um von nichts zu leben, als von dem, was keinem anderen müsste genommen werden, so dass sie sich an einem Frühlingstag auf den Weg machten, bald in diese, bald in jene Richtung gingen und also in einen Wald im Gebirge anlangten, wo es eine Höhle gab, vor Kälte und Regen zu schützen und wo der Wald reichlich bot was essbar war, auf dass sie an Früchten sich labten, bis jedoch sie um jene Früchte sich Vögel streiten sahen, also dem Klee Vorrang gaben, bis auch dieser, wie sie sehen mussten, den Rehen zugetan war, was letzten Endes dazu führte, dass sie das Farn, wovon es genug gab und was scheinbar jeder entbehren konnte, zu essen begannen und nicht ahnten, dass, sie waren in den nahen Orten schon ins Gerede gekommen, ob denn das Farnkrautessen nicht aufs Gemüt ginge, an einem kalten Herbsttag einige Waldarbeiter die beiden verhungert in der Höhle finden werden, worauf sich noch mehr Gerede und Gerüchte entspinnt, wovon das eine große Verbreitung findet, welches erzählt, ein Junge habe die beiden Alten necken wollen und ging sie fragen, ob sie nicht wüssten, dass dieser Wald und also alles was darinnen wächst und gedeiht, dem Grafen gehöre, worauf sie hätten aufgehört, vom Farn zu essen.



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Medeas Sohn

Milch und Honig fließen aus dem Kaukasus in die Täler von Kolchis, wo Medea, Königstochter mit Zauberkräften, dem fremden Jason begegnet, der über das Schwarze Meer mit seiner Argo geschifft war, um das Goldene Vlies sich zu stehlen; gelingt es nur, weil in Medea die Liebe entbrannt: der Held kam aus der süßen Ferne.
Dorthin fliehen die beiden, als ihr Bruder getötet wurde durch Jasons Schwert. Aber die Argo bringt sie nicht in eine Heimat, denn auch Jasons Thronfolge bleibt den Flüchtenden verwehrt.
Endlich in Korinth bekommen sie Asyl: zu wenig für so viel Kräfte in Ihnen.
Die Liebe bleibt auf der Argo zurück, als Treibholz zwischen den griechischen Inseln.
Jason wird Gast am Hofe von Korinth: die Tochter des Königs regt Absicht, ihre Erbfolge mit einem Gatten zu teilen.
Wo aber bleibt Medea?
Bevor sie wieder der Flucht sich übergibt, trennt sie alle Verbindung, tötet sie ihren Sohn.