Die Landstraße Rainer Nowotny
Rainer Nowotny





Windes Gewalt
landwärts. Die Kraft
im Sturm. Geballt
deine Bruderschaft.

Furchtsam im Schlot
heult, oft verwegen
die Nacht, doch ich bot
die Stirn dir entgegen.


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Ach, wenn ich in den Süden ginge,
der Herbst zög' nicht so früh in mein Gemüt.
Ein wenig länger, dass vor meinem Hause blüht
die Blume, die mir von der Wärme singe.

Doch ach, der Süden, oder gar der Osten noch,
die Ferne wird in dieser gleichen Weise
weggeträumt. Gesteh 's mir selber leise:
Gefangener der Kontinente bleib ich doch.


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Ein Sklave schon vor Mitternacht,
mein eigner. Knecht der Zeit.
Am Abend noch im steten Gang
das Dunkel. Wohin auch im Lichte?
Bleiben nach mir. Meine Schritte
hält der Sand noch.
Regen, kühle meine Stirn!
Aus dem Finster, aus dem Helle -
Staub wird einst mein Ziel und meine Furcht.
Ist alles was ich schrecke
schon vor allen Zeiten
und so fort
und so fort.


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Wohin ist der Sohn mir

Zu sehen, so man rückwärts blickt,
die Bäume, die ich pflanzte dir,
sie sind vom Sturm geknickt.

Das Haus, aus meiner Hand entstand,
verlassen, baugefälliges Quartier,
davor liegt ödes Land.

Die Worte, die ich niederschrieb,
zerknüllt vorm Ofen das Papier,
und dann als Asche blieb.

Doch andres lässt mich tränen:
Wohin ist der Sohn mir?
Welches Dunkel seine Schritte nehmen.


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Russische Erinnerung

Wie lang ist's mir vorbei
wie fern die Sinne jener Zeit
wie fern war auch der Ort
und wie dein Name war, verzeih,
und deiner Stimme fremdes Wort,
war's nur ein Traum, war's Wirklichkeit?
in einem Birkenwald wir zwei.

"Diese Birken, ungezählt, die steh'n,
(wie klar Erinnerungen sind)
doch diese weißen Stämme, junge Recken,
die zum Himmel seh'n,
hell sich im Geäst erstrecken.
Flüsternd geht der Wind
wie die Märchen, die vorüber weh'n."

Ein Heer von stillen Wachen
sah schweigend unserm Märchen zu,
stand schützend jener schönen Zier;
Kam da ein Singen, kam ein Lachen
- Birken eskortierten zum Spalier -
Aus jener Welt kamst du,
mir einen Traum entfachen.

Und seh' ich heute einen Hain
von diesen weißen Bäumen,
mit ihrem zarten Grün im Laub,
und wär' der Flecken noch so klein,
für Sekunden werd' ich taub:
fall in ein Träumen:
gedenke Dein.


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Der Waldkauz ruft: "Komm mit";
es denkt jemand an dich.
Du gingst aus dieser Welt im Schritt
unmerklich für des Nachbarn Tritt;
Es blieb in dieser Welt: ich.

Es war noch unvollbracht: heilend End
ein Wort, gesprochen aus der Quelle
deiner Zeit, die wohl ihr Ende kennt,
die alles Weltliche geblend't;
war für uns Gaffer eine Frage an die Hölle.

Das Glas, was war gedacht für Dein,
wird dieser Sand vor meinen Füßen trinken.
Und fließt ins Erdreich zu des grob Gestein,
wo später Staub aus deinem Bein;
Den Schnaps von mir in dich zu senken.


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Heut' fiel der erste Schnee und zog
dem Wald das Kleid der Unschuld auf.
Ein Wagen um die Ecke bog,
zwei Männer, Haftbefehl, Revolverlauf.

Ein letzter Gruß hinter den Gittern,
hinter Mauern hat man dich gebracht;
wovor bekam die Macht das Zittern?
geraucht hast du, gegeigt, gelacht?

Gefährte mancher Tage Glück,
gab es ein Wir für eine Zeit,
vom weiten Weg ein kleines Stück,
ein Ahnen von Geborgenheit.

Zum stillen Abschied werd' ich mir
in den Tabak etwas Haschisch geben,
deiner und der Zeit mit dir
gedenken - unser kurzes Leben.


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Ihre Hand gefasst, geküsst, gebissen,
schrak sie zurück, der Keuschheit Schwert:
"Du willst es wirklich wissen?"
Zum Schein gab prüde sie sich wert,
und schlaf allein auf meinem Kissen.

Im Traum dem Schlaf entrissen:
Waden, Schenkel, Liebesherd,
die Fahne aller Lust zu hissen,
den Apfel der Erkenntnis unversehrt,
die zwölfte Rippe heut' zu küssen.


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"Ich will dich", sagt er, sie sagt es auch.
Doch ach, die kleine Kammer unterm Dach,
Kälte durch die Türe zieht, der Rauch
vom Zigarettenstummel macht die Unlust wach.

"Auf dem Herd der Kessel mit dem Wasser kocht,
lass einen Tee uns lieber trinken noch vordem."

Und weil der Regen wie zum Wecken pocht,
schlägt sie das Tuch zurück, davonzugeh'n.


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Der Frühling will und will nicht kommen,
so oft ich nach ihm rief
in schönsten Silben. Im frommen
Flehen ihn zu wecken, doch er schlief.

Schon längst ist seine Zeit heran,
so muss ich mit mir ringen:
mit Gewalt dem Zögern dann
meine bloßen Hände gegenbringen

Packen will ich dich mit festen
Griffen, hierhin pflanzen.
Will den Schnee, den letzten,
mit den nackten Füßen fort jetzt tanzen.

Entblöße gierig meine Glieder:
ins Freie meine Brust
Dass die Sonnenstrahlen wieder
dem Herz mir schlagen neue Lust.

An den Zweigen leis' empor
die Knospen, die sich wagen.
Will sie fressen, noch bevor
der Frost sich widersetzt, sie abzunagen.


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Komm du Sturmgesell:
Beug die Esche nieder.
Uns raub
das Laub.
Von der Eile - Schnell
holt die Wärme uns wieder.


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Sommer, du Löwe (für Brünnhild)

Fressende Mähdrescher, ihr Ungeheuer,
die das Brot für das lange Jahr uns ernten,
verschlingen die schweren Ähren und fressen.
Und fressen, bis sie dann brüllend verharren.

Schütten sie brüllend ihre vollen Bäuche
in die Erntewagen, die da schon warten.
Und weiter gieren die hungrigen Haspeln
in das sich wiegende Getreide hinein.

Wie satt sind die Blicke; wie reich ich doch bin,
wie nah sind mir alle Löwen des Sommers.
Flimmerndes Licht in ihrer fernen Nähe.

Dass eine Freude über's Gesicht mir zieht
In diesen Momenten, wie reich ich doch bin,
an meine Tochter zu denken, und träume.


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Auf dem Bahnhof war der Morgen noch nicht da,
sie saß mir gegenüber, sprach ein kleines Wort,
dass sollte heißen: der Rest ist deine Pflicht!

Es war wirklich reichlich früh und offenbar
zu früh. Doch schön war sie und günstig war der Ort.
Allein ich zögerte, ergriff sie nicht.

Da blieb sie eben stumm, griff sich ins Haar.
Es wär' an mir gewesen: die Chance verdorrt.
Auf der Rolltreppe steht sie noch mal im Licht,

dreht sich um, ein Gruß umsonst fürwahr.
Nun fährt sie mit dem Zug fort,
und sie hatte so ein liebliches Gesicht.


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Du liebe Subkuh, seit Tagen klingelt schon
durch irgendwen, es interessiert mich nicht,
wenn ein anderer als du am Ende spricht,
ich will nun endlich dich an mein Telefon.

Was soll ich lügen, bei jedem Schritt beginnt
das Herz zu hämmern mir, es ist sonderbar.
Wär' ich zwanzig Jahre jünger, wär' es klar,
warum aber heute die Geduld zerrinnt?

Wohl niemals werde ich erleben, dass du
mich anrufst. Ich warte schon über Gebühr,
Wann kommst du, so etwas Geringes, zu mir?

Schritte hör' ich deutlich, klopfst an meine Tür,
wofür den eigentlich, wer glaubt es denn? für
Unwichtiges wie mich, verdammte Subkuh.


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ist es möglich, die Sehnsucht zu rauchen?
ist es möglich, den verbrannten Körper zu sonnen?
ist es möglich, den Wind in die Stube zu lassen?
ist es möglich, zartes Schmiegen grob zu umfassen?


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Ganz benommen durch die Nacht
auf der Autobahn zurück gedacht,
festgehaltener Moment, an dich.

Das Motiv durchlebt: stundenlang
standen wir zwei inmitten
Menschen: geplaudert und gelacht.

Die Wahl der Farbe deiner Lippen,
spitze Nase, tadelloser Gang:
Ailine, welcher schöne Klang.

Jedoch zu edel bist du sicherlich.
Das Vergessen muss man bitten!
Noch ganz benommen fahre ich.


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Wäre ich ein Bauer, in den hohen Roggen würde ich dich drücken in den ärgsten Augusttagen. Wäre ich ein Holzfäller, in den Annemonen, wenn sie blühen, würde ich dich überraschen und mich auf dem grünen Teppich mit dir wälzen, so wie die Sonnenstrahlen durch die Kronen, so in dich dringen. Wäre ich wandernder Geselle, ich würde dich zerren in den Straßengraben, das Gras mit dir zerquetschen, dass du quiekst und schreit. Wäre ich unheilbarer Spieler, auf den Rouletttisch würde ich dich legen, zerreißen deine Kleider, rammeln bis der Tisch zusammenbricht.
Du bist die Dirne, sieh da - ich bin es, der Bauer, der Waldarbeiter, der Gesell und auch Spieler, du wirst nicht aufhören, zu hecheln und zu stöhnen, liegen mit offenem Mund, wirst nicht wollen, aufzuhören. Deine Geilheit, mein Begehren, wildes Schaffen, sich einander blind verzehren, wie du leckst an deinen Mund, sagst du: einverstanden, mich zu locken.
Warum sollte jemals ich nein sagen? Bin ich ein Narr? Warum sollte ich verächten die Kost?


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Auf dem Bahnhof verweilen
Stehend im Bistro
Cafe auf Cafe auf Cafe
Eine Stunde verging.
Es wird nicht schneller
Nur weil man ständig
Auf die Uhr sieht
Warten auf die Erwartete
Musste noch zum Friseur.
Nervös verstreichen Stunden.


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für HJ.

Jetzt, wo Du fort bist, rückt Dein Bild mir
öfter in den Tagtraum.
Die Wege führten mich weit von Dir,
und einsam, so wie Deine waren.
Nicht wusste ich, wie eng das Band zum Vater
noch über die gelebte Zeit hinaus.


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Das glaub ich wohl, dass Deine Mutter abstammt
Von den golden Horden, von den Frauen die
Ihre eignen Krieger unters Joch gespannt,
die wiederum die Stärksten unterjochten.
Stille Herrschaft aus der Nächten Gemächern.
In die Ferne tragen es die Besiegten:
Fern sind sie Krieger über fremde Völker.
Natürlich: Vom Morgen her kommend wirst Du
schöner noch um dieses kleine Geheimnis.
Die daheim Gebliebenen staunen Deiner.
Ach, Entfernung, Du, kenn ich Deine Tücke!
Bin lieber zaghaft in der Werbung, denn ach:
Käm’ es ans Ziel, so weiß ich aus Erfahrung,
dass Märchen Dir funkeln von Goldnen Horden,
mich zum Vollzieher nächtlicher Gelüste
machen, zum Ergötzen am fremden Schmachten.
Hüt ich mich – stürz mich hinauf – wird’s wohl kommen
wie es kommen soll - wie immer im Leben.



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Mit schlimmen Tränen lieben sie ihr Leben,
Freund und Geliebte, Bruder. Sei’s vergeben!
Vereint nur sind wir für kurze Zwischenzeit.
Umarmen, küssen uns. Wir lieben, hassen,
Zu dritt, zu zweit und eigentlich verlassen.
Gefährte heißt man mich und Wegbegleiter,
Trugbilder auf dem steten Wege weiter;
Einzige Freundin ist mir die Einsamkeit.
 
Der Schwester muss ein Sohn die Mutter teilen.
Geliebt doch einsam muss er ihr enteilen.
Die Braut verliert er an den fremden Schönen.
Wenn anders: an den Spieler, überheblich,
so bleibt das Leben vor der Flucht vergeblich.
Selbst meine Tochter wird mir bald entrinnen.
Zurückgelassen kann mir nichts beginnen,
die Einsamkeit will sich mir selbst versöhnen.
 
Nur Lichterscheinung alle festen Bunde.
Erschöpfung ist stets zu verschiedner Stunde;
Kraft und Ermattung – du männlicher Beleg -
zur Anstrengung hinauf, den Berg zu zwingen.
Ohne den Blick zurück entfernt sich schweigend,
der Rast nicht achtend, auf die Kreuzung zeigend.
Nebel verschleiern, die sich fremd bedingen:
Einsamkeit, geduldig säumst du meinen Weg.
 
Schönheit in das Zusammenspiel zu pressen,
gleichviel suchten, kamen, flohen, gingen fort.
Das Alleinsein trennt sich nie vom Gegenstück -
zwischen Menschen fühlt sie sich ermessen:
Mächtig schallt zu aller Zeit ihr Abschiedswort.
Also schwingt zu meinem einzig wahren Klang
keine Begleitung, kein Takt, kein Gegensang,
nur die Einsamkeit bleibt mein verlassnes Glück.


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Gern nehm’ ich alle, doch selbst vier Jahre nur,
bis Deine Arme kraftvoll wie Dein Wille,
und alles zwischen uns Berührung werde,
und Du zum Streit bereit - zu mir in Eile,
und ich noch nicht verwelkt, vertrieben, verrückt.
Vielleicht noch nicht in weiter Ferne weile,
dass wir verschmelzen. In zukünftige Spur
zu siegen, was Vergangenheit erfülle.
Doch plötzlich bricht Erkenntnis in die Herde,
was der Zank um Zärtlichkeit hat unterdrückt:
Zwei Betrogene - teilen beide Hiebe!
Ach, Tochter, wie es Deine Zeit gefährde;
auf diese Jahre gebe ich Dir den Schwur,
gleich was von Lebensträumen übrig bliebe,
eines vertrau' ich Dir – geheime Stille:
Nach vier ist nicht zu brechen unsre Liebe.


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Wenn der Tag beginnt, möchte ich Maurer sein,
nicht Wetter hindert, Kalkül, nicht schlechter Ruf:
Das Zeug ist klar bestimmt: Kelle, Kalk und Stein.
Nicht suchen muss er nach Begründung und Maß.
An der Jacke schon, erkennt man den Beruf;
gebraucht, und bezahlt, bevor man ihn vergaß.

Von jeglichem Gewerk schein der Maurer nur
der Arbeit wirklich froh zu sein, Wandungen
entstehen Schicht auf Schicht, so schwer und standhaft.
Nicht wie der Denker, der niemals Werke schafft.
Verhaucht ist - gleich Musik, die schnell verklungen -
alles Erdachte, auf verlorener Spur.

Das Haus ist fertig in letzter Abendstund.
Über die Schwelle trägt einer eine Braut.
Heraus stolpern sehr bald Kinder in die Welt.
Doch der Maurer zieht auf unbebauten Grund.
Wieder neues Obdach für Fremde er baut.
Gleich mir, weil fertige Hausung mich nicht hält.


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Sonntag früh

Sicherlich bin ich nach Haus gekommen,
auf jedem Parkplatz eine Mütze Schlaf genommen.
den Rest der Nacht
hab ich an dich gedacht.


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Auf einem Bahnhof irgendwo.
Leute eilen vorbei,
andere warten erwartend,
wieder andere zählen Stunden.
Kaffee wird geschüttet,
Handys klingeln durcheinander.
Aber ich schwebe geduldig
von Bahnsteig zu Bahnsteig,
und du, so glaube ich,
liegst noch erschöpft in meinem Bett.